Kolumne

Die Mär von der passiven Hoheit

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Marcel van Leeuwen, Vorsitzender der Geschäftsführung, Senior Partner und Vermögensverwalter in der Deutschen Wertpapiertreuhand. Mehr Informationen gibt es hier.

Die Branchendiskussion um sogenannte passive versus aktive Anlagestrategien nimmt teilweise religiöse Züge an. Deswegen lohnt es sich, gelegentlich die Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Realität Nummer eins: Alle Anlagestrategien sind aktiv
Wenn von passiven Fonds gesprochen wird, sind in der Regel indexorientierte Anlagestrategien in zum Beispiel ETFs gemeint. Fonds, die Indizes nachbilden, bilden per Definition eine aktive Anlagestrategie ab. Denn nicht alle Aktien dieser Welt kommen in einen einzelnen Index hinein.

Der Indexanbieter entscheidet, welche Aktien in einen Index hineinkommen, und welche nicht. Das ist eine äußerst aktive Entscheidung, die enorme Konsequenzen hat. Zudem ist es keine Einzelentscheidung, sondern ein laufender Entscheidungsprozess, der immer wieder zur Aufnahme neuer und Löschung alter Mitglieder aus dem Index führt.

Der klassische Entscheidungsprozess eines Indexes wird in der Regel von der Marktkapitalisierung und dem Free Float der Aktien dominiert. Somit sind viele sogenannte passive Anlagestrategien in Wirklichkeit aktive Anlagestrategien, die nur langsam zu Änderungen in der Aktienauswahl führen. Aufgrund dieser Langsamkeit ist es umgangssprachlich völlig in Ordnung, von einer passiven Anlagestrategie zu sprechen, vorausgesetzt, man ist sich bewusst, dass es keinerlei - und wirklich gar keinen - grundsätzlichen Unterschied zwischen aktiven und passiven Anlagestrategien gibt. Grundsätzlich sind sie ein und dasselbe.

Realität Nummer zwei: Es gibt keinen einzelnen Markt
Das in den Diskussionen oft verwendete - vermeintliche - Alleinstellungsmerkmal von passiven Strategien ist die absolute Hoheit ihrer Ergebnisse. Oft werden die Argumente in folgender Form angeboten: “Der Markt ist effizient und man kann den Markt nicht schlagen.” Diese Aussagen sind grundsätzlich falsch. Gleichzeitig sollte man nicht ignorieren, dass diese Überlegungen trotzdem zu sehr sinnvollen Anlagestrategien führen können, was hier nicht in Frage gestellt wird.

Warum sind die Aussagen trotzdem falsch? Eine Indexstrategie ist sehr sinnvoll und robust, bildet aber keinen Deckel für die Performance in einem definierten Aktienuniversum. Das hat die Kapitalmarktforschung bereits seit den Neunzigerjahren zur Genüge belegt. Je nach religiöser Schule spricht man in diesem Zusammenhang von Anomalien, Faktoren oder anderen Phänomenen.

Noch fundamentaler ist die Tatsache, dass es “den” einzelnen Markt nicht gibt. Es gibt keinen handelbaren Index, in dem alle Aktien dieser Welt enthalten sind. Aus dieser Not heraus greift man gerne - und für praktische Anwendungen durchaus sinnvoll - auf den Standard des MSCI World Indexes zurück. Diese Entscheidung bleibt aber völlig arbiträr.

Nimmt man zur Kenntnis, dass zum Beispiel der NASDAQ100 - auch ein Marktindex - über die letzten 20 Jahre nahezu viermal so viel Wert geschaffen hat wie der MSCI World, wäre es irrsinnig, zu behaupten, dass der MSCI World den absoluten Markt abbildet und das Maß aller Dinge ist. Jeder Index bildet aktiv lediglich ein Teilsegment der gesamten Aktienwelt ab.

Realität Nummer drei: Es gibt keine absolute Hoheit
Mit passiven indexorientierten Anlagestrategien können bereits sehr sinnvolle Anlagestrategien abgebildet werden. Darüber hinaus gibt es aber einen großen Raum an attraktiven Risiko-Rendite-Verhältnissen, die mittels Investmentlogiken, die über Marktkapitalisierung und Free Float hinausgehen, realisiert werden könnten. Dies bietet gerade für innovative und spezialisierte Fondsboutiquen eine große kreative Spielwiese nicht nur in der Nische. Teilweise gelingt das bereits heute. Für die Zukunft bilden sie ein fantastisches Potenzial.

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