Persönlichkeiten
Profit statt Luftschlösser: Evelyne Pflugi macht echte Innovation in Aktien investierbar
Frau Pflugi, Sie haben 2017 TSG gegründet mit der Mission, angewandte Innovation im Aktienbereich investierbar zu machen. Was hat Sie angetrieben?
Evelyne Pflugi: Bevor es uns gab, basierten Anlageprodukte in Innovation - sowohl im Aktien- als auch im Venture-Bereich - vor allem auf einem Faktor: Spekulation. Traditionelle Metriken betrachten beispielsweise Forschungs- und Entwicklungskosten, Marketing-Aktivitäten oder die Anzahl Patente. Vieles ist zudem sehr medien- und schlagwortgetrieben. Was diese Bereiche gemeinsam haben: Es handelt sich um reine Ausgaben, eine Wette auf die Zukunft. Mit anderen Worten geht es hier mehr um Luftschlösser als um echte Innovation. Wir haben den Spieß umgedreht. Uns interessiert vor allem eine Frage: Welche Unternehmen nehmen durch Innovation Geld ein? Das klingt zwar einfach, ist aber eine Sisyphos-Aufgabe. Denn Technologie steht nie still, sie bewegt sich entlang einer Zeitachse: Erst ist sie Zukunftsmusik, dann kommt für ganz wenige Errungenschaften die Periode der Anwendung und schließlich enden jene am Massenmarkt. Uns interessiert nur der mittlere Bereich. Deshalb sprechen wir von Angewandter Innovation und gewichten unsere Portfolios zwei Mal im Jahr systematisch und ohne emotionale Einflüsse neu. Der Singularity Index™, den wir gleich zu Anfang der Unternehmensgründung mit Nasdaq aufgesetzt haben, gilt mittlerweile als Goldstandard im Innovationsbenchmarking.
“Wir sind die einzige Anlageboutique, die eine eigene Denkfabrik unterhält, den Singularity Think Tank.”
Sie werden in den Medien als Cathie Wood der Schweiz bezeichnet. Was sagen Sie zu diesem Vergleich?
Pflugi: Es ist natürlich plakativ und weckt Assoziationen. Ich habe Respekt für die Lebensleistung von Cathie Wood. Wir sind beide der Innovation verschrieben. Was uns allerdings fundamental unterscheidet: Die Produkte ihres Unternehmens Ark haben laut einer Morningstar-Analyse in den letzten zehn Jahren mit Abstand die meisten Kundengelder vernichtet. Die Person, die am stärksten profitiert hat, ist Wood. Verherrlicht und gefeiert wird sie trotzdem. Betrachtet man die Anlagestrategie von Ark, verkörpert sie sogar die Anti-These zu unserer Philosophie. Innovation ist nicht gleich Innovation. Als Anleger im kotierten, also liquiden Aktienbereich sollte man sich auf keinen Fall von Hypes und dem Rauschen im Blätterwald leiten lassen. Angewandte Innovation in gelisteten Unternehmen finden bedeutet, sich mit der Realität und Machbarkeit zu beschäftigen, was weniger ‘sexy’ klingt, aber ertragreicher ist. Vor allem gleicht diese Aufgabe der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Weniger als 4 Prozent aller globalen Umsätze lassen sich auf Innovation zurückführen - die richtige Selektion ist also essentiell. Sonst kann man gleich ins Casino oder zur Wahrsagerin gehen. Was unsere Portfolios bei TSG hervorhebt: Die Unternehmen darin zeigen ein überdurchschnittliches Umsatzwachstum und verfügen über klare Dominanz in der Preisgestaltung.
“Wir können zu jeder Zeit von jedem gelisteten Unternehmen den Innovationsgrad aufrufen und setzen mit unseren Fondsstrategien auf Innovation"
Was differenziert Ihren Ansatz also so sehr?
Pflugi: Wir sind die einzige Anlageboutique, die eine eigene Denkfabrik unterhält, den Singularity Think Tank. Dieser setzt sich aus fast 40 “Machern” - überwiegend Unternehmer - aus dem Bereich Innovation zusammen. Wir setzen also nicht auf Analysten, sondern auf Praktiker, die genau wissen, wo Innovation wirklich stattfindet und wie sie sich etabliert. Vor jedem Rebalancing führen wir ausführliche Gespräche. Diese Experten helfen uns, Innovation innerhalb mehrerer Technologiebereiche auf der oben erwähnten Zeitachse einzuordnen. Und dann beginnt eine sehr granulare Arbeit, bei der wir Innovationsumsätze in Wertschöpfungsketten aufspüren - alles streng regelbasiert. Oder wie unser CIO Pierre Guillier so schön sagt: Wir haben keine Favoriten. Inzwischen haben wir eine umfassende proprietäre Datenbank aufgebaut, die wohl in der Branche ihresgleichen sucht. Wir können zu jeder Zeit von jedem gelisteten Unternehmen den Innovationsgrad aufrufen. Nur Unternehmen, die einen Singularity Innovationsscore von mehr als 10 aufweisen (das bedeutet, 10 Prozent des Umsatzes muss auf Innovation zurückzuführen sein), haben eine Chance darauf, in einem unserer Produkte zu landen. Beim Singularity Fund - der den Singularity Index abbildet - selektieren wir 300 Unternehmen. Zum Risikomanagement arbeiten wir mit regelbasierter Umschichtung mit einer Maximalgewichtung von 20 Prozent pro Innovationsbereich und 5 Prozent pro Einzeltitel.
Welche weiteren Produkte gibt es?
Pflugi: Wir haben mit Singularity US Innovation Leaders ein strukturiertes Produkt auf den Markt gebracht, das innerhalb des Nasdaq 100 die wirklich innovativen Unternehmen identifiziert. Dazu kommt Singularity Small&Mid. Wie der Name schon sagt, wählen wir hier die nächste Generation der Innovationsunternehmen aus dem Russell 2000. Außerdem haben wir mit und für Partner thematische Produkte realisiert.
Zu Ihnen als Person: Sie sind eigentlich Lebensmittelingenieurin. Wie sind Sie in der Finanzbranche gelandet?
Pflugi: Das war fast schon Zufall. Ich bin in Nunningen aufgewachsen, das ist ein kleines Schweizer Dorf in der Nähe von Basel. Nach dem Abitur bin ich meinen Interessen gefolgt und habe mich an der ETH eingeschrieben. Ich fand Naturwissenschaften schon immer spannend und mein Studium hat Biologie, Chemie und Physik perfekt vereint. Gleichzeitig bin ich das, was man einen echten Streber nennen kann. 2007 kam ich über eine Jobmesse an der ETH mit der Capital Group in Kontakt, der damals weltweit größten Asset Managerin, die mich direkt für ein Talentprogramm rekrutiert hat. Also ging es ab nach Los Angeles, von dort nach London und schliesslich zurück nach Zürich. In diesen Jahren habe ich als Analystin und als Portfoliomanagerin im Bereich Energie und Ressourcen gearbeitet und extrem viel über Wertschöpfungsketten-Analyse und generelle Portfoliokonstruktion gelernt - eben auch darüber, was in der Fondsbranche schief läuft. Deshalb habe ich TSG gegründet, und hier schließt sich der Kreis.
Evelyne Pflugi ist CEO des Zürcher Finanzdienstleisters The Singularity Group (TSG), dien sie 2017 gegründet hat. Ihre Karriere umfasst Stationen bei grossen Asset Managern im In- und Ausland wie Capital Research Global Investors in London, The Capital Group in Los Angeles oder bei GAM Investment Management in Zürich. Sie hat einen Master-Abschluss in Ingenieurwissenschaften der ETH Zürich mit den Schwerpunkten Lebensmittelwissenschaften, Biochemie und Biotechnologie.